Donnerstag, 13. September 2012

Eifel-Tour mit viel See-Erlebnis (4)

abendlicher Dunst am Jugendstilkraftwerk

Heimbach bis Untermaubach

Von der Rurtalsperre schwingen wir uns also über Schwammenauel herab nach Heimbach. Der frühere Weg führt jetzt in veränderter Linie durch das Baugelände, bis man wieder auf die altbekannte asphaltierte Serpentine gerät. Man ist schließlich froh, wieder unten im Tal angekommen zu sein. Dort versöhnt uns die erholsame Atmosphäre des Heimbacher Stausees - eigentlich nur eine gehörige Verbreiterung der Rur zu einem regelrechten Flussquerschnitt. Nach einem knappen Kilometer ist bereits das bekannte Wasserkraftwerk erreicht, ein zauberhaft gelegenes und anzusehendes Jugendstil-Baudenkmal. Auch von innen eine Augenweide: Mit beeindruckend großen, hundert Jahre alten Turbinen produziert die RWE hier Ökostrom, faszinierend auch die urigen Anzeigeinstrumente und filigranen Leuchtkörper. Gelegenheit zur Besichtigung hat man am besten während der in Liebhaberkreisen sehr angesagten Kammerkonzert-Woche, wenn es zwar keine "frischen" Kilowattstunden gibt, aber dafür "Spannungen" (so der Name dieser alljährlichen Festspiele mit hochtalentierten jungen Künstler/innen).
Gleich nach der Kraftwerk-Lichtung verschluckt uns wieder dichter Wald. Bis Heimbach-Ort sind es noch gut zwei weitere schattige Kilometer entlang der nun wieder schmaler fließenden Rur. Der Weg fährt sich angenehm, nur ganz selten mal stört ein Auto die Ruhe, für zünftige Geräusche sorgen statt dessen einige Stauwehre mit etwas Aussichtgelegenheit. Hier bleibt keine Stromenergie ungenutzt. Für Erholungsbedürftige wäre da am Hang gleich oberhalb des Weges noch ein gemütliches Ausflugscafé im Angebot, doch wir haben alles Nötige dabei und lassen munter weiterrrollen. Dann kommt der gepflegte kleine Kurpark, den wir endlich doch zur Rast nutzen.

Mit der von hier aus gut sichtbaren, malerischen Burg im Rücken machen wir es uns auf einer schattigen Bank mit Rur-Blick einigermaßen bequem. In der Packtasche steckt bestes, home-made Müsli, das muss jetzt dran glauben, die Fahrt war lang genug und mächtiger Appetit verursacht bereits leicht Ungeduld. Nach den ersten, gehäuften Löffeln setzt wieder etwas Entspannung ein. Feinheiten der Umgebung ziehen die Blicke auf sich. Gegenüber eine Reihe von Schrebergärtchen mit baufälligen Treppenstufen zum Bachufer, das Blitzen der Strudel und Stromschnellen im Sonnenlicht, eine Holzbrücke mit Hunden, Kindern, herüberspazierenden Familien. Und dann gaukelt ein besonderer Falter durchs Sehfeld: ein lebhaft schwarz-weiß-orange gemusterter Schmetterling namens 'Spanische Flagge' - bis vor wenigen Tagen noch nie gesehen, aber hier bereits zum dritten Mal. Die Natur gibt ein Zeichen: demnächst vielleicht spanische Kellner (mit Unidiplom) im Heimbacher Eiscafé ?

Hach, so ein Päuschen macht richtig schläfrig, zum Weiterfahren muss man sich jetzt echt aufraffen. (Man könnte ja bereits in die nächste Bahn steigen...) Aber wir haben uns schließlich 'was vorgenommen und wollen noch mehr von der Landschaft sehen. Obwohl das Beste hinter uns liegt; zu bewältigen sind jetzt auch einige (kleine) Anstiege und Passagen entlang der Straße.
Das bisschen Heimbach, das unser Weg berührt, ist schnell passiert, am Kreisverkehr geht es dann gleich über die Rur. Mit gelindem Schrecken tritt eine Steigung vor Augen, die glücklicherweise sogleich wieder nach rechts abwärts verlassen werden darf. Hier herrscht unerwartet hoher Publikumsandrang. Das Freibad quillt fast über - es ist ja auch ziemlich heiß heute  - und das vielleicht letzte richtige Sommerwochenende. Wie gut, dass wir nicht auch in einem der vielen Wagen auf Parkplatzsuche herumeiern müssen, um letztlich dann vom Auto wieder einen halben Kilometer mit leichtem Kampfgepäck zurück zur Liegewiese zu latschen. Nö, mit dem Rad läßt sich dieser ganze Pulk lässig umkurven, und tschüss...

... locker weiterrollen bis zum (privaten) Campingplatz. Leider keine Durchfahrt entlang der Bachaue, die Zeichen stehen auf Umfahrung über die verkehrsreiche Talstraße. Schade, mal auf der einen, dann wieder auf der anderen Seite ohne diesem Moloch ausweichen zu können, muss man bis Hausen die Zähne zusammenbeißen und den Landschaftsgenuss einstellen. Dann endlich die Erleichterung - an der Bahnhaltestelle darf auf ein ruhiges Sträßchen abgebogen werden. Nun hat der Allmächtige zum Leidwesen der radelnden Nichtsportler vor Blens aber eine tüchtige Erhebung aufgehäuft, die bei starker Sonneneinstrahlung die zugehörigen Probleme aufwirft: absteigen, schieben, keuchen, schwitzen, jammern und fluchen.
Oben angekommen fehlt die benötigte Schattenbank, aber der Ausblick auf die schroffen Sandsteinfelsen belohnt ein wenig für erlittene Mühen. Höhe zu gewinnen, kostet eben sehr viel Kraft, schafft aber auch einzigartige Perspektiven. Manchmal ist es ganz gut, wenn man zu seinem Glück gezwungen wird. Wer sich diesem Zwang entziehen möchte, kann sich stattdessen weiter auf der Straße abmühen. Aber bitte nicht zu schnell fahren: dort herrscht strenges Tempolimit, damit die seltenen, hier in den Steilwänden brütenden Uhus nicht erschreckt werden. Oder war es wegen der vom Aussterben bedrohten Klettersportler? Nein, es sind wohl die zahlreichen, auf Gewöllesuche herumstreunenden Biologen, die sonst allzuleicht ein Opfer des unzäh fließenden Verkehrs werden könnten.
Diese ganze Problematik wird von uns großräumig umschoben bzw. nach Erreichen der Höhe locker abgerollt. Das macht wieder Spaß, so dass wir uns Blens - einem hübsch sanierten, ruhig gelegenen Dörfchen - in aufgeräumter Stimmung nähern. Der kurze Exkurs endet dann wieder ärgerlich in erneuter Ableitung auf jene vermaledeite Straße, die vor nicht allzulanger Zeit mit Erleichterung verlassen werden konnte. Dann richtig vertrackt auch noch ein langgezogener Anstieg bis nach Abenden, ganz schön zermürbend, dieser Abschnitt.

Als nächstes kommt eine Schussfahrt hinunter in den eigenartigen Ort mit seinem komischen Namen. Unsere Rollbahn trifft in einer Art Zentrum auf einen Boulevard, der rechter Hand vor einem Steilhang endet, just unter der hoch überführten Ortsumgehung. Wenn jetzt Dienstag wäre, könnte man sich für einen mäßigen Pauschalpreis im Café auf der Ecke 'á Digestion' (bis zum verdau-nix-mehr) mit allerlei Kuchenakreationen vollstopfen. Sehr verführerisch, aber nicht allererste Qualität. Neuerdings findet sich im Ort noch ein weiteres Teehaus gleichen Namens. Man sollte mal checken, ob das geschäfts-belebende Konkurrenz ist, oder was dahinter steckt. Auf der Suche nach Deftigerem sollte man ein Gartenrestaurant direkt an der Rurbrücke nicht unbeachtet lassen. Man speist dort nicht schlecht zu auskömmlichen Preisen. Eine weitere Attraktion der Rurperle Abenden: geschmackvoll sterben. Für das Endstadium wurde eine speziell auf die entsprechenden Bedürfnisse zugeschnittene Gartenwelt angelegt, die beim Gang in unsere anschließende Existenzform die zu verlassende in eine möglichst angenehme Umgebung versetzt. Ein Hauch von kräftig expandierender Esoterik umgibt jene Location. Nach der definitv letzten Radtour auf diesem Planeten werden wir uns damit noch näher beschäftigen können - so Gott will (und hoffentlich nicht allzubald).

Ein schlechtes Erlebnis sei nicht verschwiegen. An der genannten Abendener Straßenkreuzung zeigt ein Wegweiser geradeaus nach Nideggen. Da geht es leider über den Berg und nicht entlang der Rur! Wer's zu spät merkt, hat Pech gehabt. Um es kurz zu machen: man sollte weiter auf dem "RurUfer-Radweg" fahren, wobei auch dann noch Steigungen und straßenbegleitende Teilstücke (ab Nideggen-Bück) zu bewältigen sind. Unannehmlichkeiten, die durch landschaftliche Reize aufgewogen werden. Eine mies ausgeschilderte (Brücken-)Baustelle bei Zerkall ist dabei besonders negativ hervorzuheben. Zur Beruhigung trägt bei, dass man bei ansteigender Unlust alle paar hundert Meter an einer Haltestelle mit der Bahn weiterfahren könnte. In unserem Fall fiel der Entschluss in Untermaubach. So kamen wir noch an einem weiteren Gewässer, dem Stausee Obermaubach vorbei und hatten damit ein volles Tagesprogramm an See-Erscheinungen absolviert.
Angesichts der überbordenden Tageshitze fiel dann aber endgültig die Klappe - und eine tiefklimatisierte und an Haltestellen reiche Rurtalbahn transportierte Menschen mitsamt Rädern zum Tagesticketpreis über Düren nach sonstwohin. Uff, das wäre erstmal geschafft!

Mittwoch, 5. September 2012

Eifel-Tour mit viel See-Erlebnis (3)

Das Schöne liegt meist im Einfachen - irgendeine Talaue

- an der Rurtalsperre entlang


Unsere anregende Tagestour verläuft weiter entlang des südlichen Urftsee-Ufers. Der Weg ist allen Ausbuchtungen der für eine Mittelgebirgslandschaft typischen Talsperrenanlagen angepasst. Daher auch ziemlich weit. Beschattete Partien wechseln ab mit stärker der Sonne ausgesetzten. Zur immer noch frühen Tageszeit allerdings kein Problem. Die gute Fernsicht entschädigt für schweißtreibende Einstrahlungen. Eine Bank in prallem Licht lockt zu Rast und Landschaftsbeschau, doch nicht mit uns.
Man sollte endlich etwas flotter vorankommen, denn es nähert sich ein aufregendes Zwischenziel: die Staumauer. Früh dort ankommen, wäre ganz angenehm, denn da herrscht oft an schönen Wochenenden ein gemäßigtes Remmidemmi am Ausflugslokal. Ach ja, was daran Besonderes sein soll? Das merkt man am eindrücklichsten direkt auf der Staumauer. Der Ablauf der Urftsperre fließt unmittelbar in die angrenzende Rurtalsperre. Deshalb befindet man sich an dieser Stelle genau zwischen zwei Seen, die ein ziemlich unterschiedliches Niveau aufweisen. Wer leicht zu Schwindelgefühlen neigt, dem wird beim Blick in den tief unten gelegenen Ausläufer des Rursees schonmal ein kleinwenig blümerant, und das Beschreiten der Mauerkrone gerät zur Mutprobe.
Als wir dort ankommen, haben sich erfreulicherweise noch keine größeren Menschenmassen eingefunden. Wir lieben diese beschauliche Stimmung, scannen aber nur mal schnell das Panorama ab und sind zufrieden mit der Welt. Nur ein alter Zausel flitzt auf seinem Pedelec auf dem Damm bis zum Ende und zurück ('Radfahren verboten'). Er wird zum Mittagsbraten wieder daheim einrollen und seiner Restfamilie einen ausführlichen Bericht über die morgendliche Ausfahrt erstatten. Muttern gefällt das: Bewegung regt den Appetit an.
Unser Radweg verliert ab hier merklich an Komfort, biegt halblinks ein und verläuft etwas abschüssig. Schließlich soll es an der Rur weitergehen, somit müssen wir hinunter auf die tiefer gelegene Seehöhe. Immer leicht die Bremse im Anschlag, damit es nicht allzu rapide vorangeht und das angenehme Hinabrollen durch den dichten Hochwald noch etwas in die Länge gezogen werden kann.
Am Ende dieser Abfahrt erreichen wir das nächste Ufer, können hier auf ebener Strecke direkt am See radeln und den Blick dabei genüsslich schweifen lassen. Die Sonne schickt ihre Strahlen durch die Baumkronen, Ausflugsboote gleiten vorbei, Wasservögel lassen sich kaum in ihren Aktivitäten stören. Die Zahl der entgegenkommenden Radler und Wandersleut' nimmt merklich zu. Bald erreicht man nämlich eine etwas belebtere Stelle, die von den meisten als Einstieg in die Landschaft benutzt wird: den Fremdenverkehrsort Rurberg.

Da müssen wir nicht hin, aber man könnte kurz über einen Damm, der den sogenannten Obersee von der eigentlichen Rurtalsperre trennt, um die Gelegenheit zu einer kleinen Einkehr beim Schopfe zu packen. Wir haben andere Ziele und halten uns eisern an die bewährte Uferseite, indem wir hart rechts einbiegen; es wird jetzt eng. Zur Rechten ragt plötzlich ein schroff ansteigender Hang, der aber im Unterschied zum Urftweg wunderschön bewaldet ist - und erfreulicherweise weiterhin Schatten spendet. Solche naturnah bewachsenen Steilhänge sind eine Rarität in unserem Lande. Immer wieder möchte man den Blick aufwärts richten und die Zähigkeit der Bäume bewundern, die sich mit ihrem Wurzelwerk in den Felsspalten festkrallen; wenn ihr Wachstum auch durch den Mangel an Nahrhaftem und Feuchte stark gedämpft wird, so wirken sie andererseits wahrhaft vital und widerstandsfähig.
Auch die gegenüberliegende Seeseite zieht unsere Obacht auf sich: am Ufer, im Wasser herrscht lebhaftes Treiben: Segeln, Surfen, Freibadgetümmel - vor dem Hintergrund der Wälder-Wiesen-Hügel-Kulisse.
Endlos geht es leider nicht so weiter: extrem angenehm, locker und leicht. Bald versperrt eine ausgreifende Talmulde den lauschigen Uferweg. Diese zu umfahren haben sich die Streckenplaner eine langgezogene Steigung ausgedacht. Nicht besonders steil, geht aber allmählich doch in die Beine, wenn man sie ohne Absteigen bewältigen möchte. Bei einer Holzbrücke mit dem schönen Namen "Vorsicht Rutschgefahr" passieren wir den Wendepunkt, in der trügerischen Hoffnung, mindestens die Hälfte des Anstiegs geschafft zu haben. Es überholen uns sodann eine junge Familie mit Teenietochter - und der alte Pedeleczausel von der Staumauer steht ebenfalls noch voll im Safte seines aufgeladenen Akkus. Wusch wusch vorbei.
Mutter und Töchterlein haben sich aber wohl, vom sportiven Astralvater angespornt, etwas überschätzt und verlegen sich für die letzten hundert Meter aufs Schieben. Unser langer ruhiger Atem pfeift beim Weiterpedalieren zwar aus den letzten Löchern, doch mit der Kraft der zwei Herzen holen wir die beiden Damen noch ein. Scheinbar gnadenlos zeichnet der Forstweg vor unseren Augen seinen unendlichen Anstieg ins Gelände. Aber unverhofft taucht  ein etwas verschämtes Wegweiserlein auf und zeigt - juhuuh - nach links in Richtung eines abschüssigen Pättchens. Die Erlösung!
Es folgt eine ebenso lange, entspannte Abfahrt, die letzlich wieder zum Seeufer führt. Man durchrollt einige bemerkenswert prachtvolle Hochwaldbestände des Kermeter, an denen wir sich kaum satt sehen können. Wer mag sich wohl - angesichts der mächtigen Buchen und des durch die glatten, grauschimmernden Stämme blitzenden Seespiegels - des Gedankens erwehren: Deutschland ist echt schön! Und alles gratis...
Dann erreichen wir den Wanderparkplatz an der Staumauer Schwammenauel, die erste Autostraße seit Gemünd; nun geht es nach Heimbach hinunter. Eine weitere Stufe abwärts zum nächsten See-Panorama. Dazu kann man die Straße bis zum Parkplatz Seehof nehmen und sich dann rechts auf einem abenteuerlichen Wanderweg über Stock und Stein in die Tiefe stürzen, wodurch man schließlich an einem neuzeitlichen Wasserkraftwerk herauskommt. Hals- und Beinbruch, dieser Kick ist eigentlich ein Muss. Das wäre auch aktuell die landschaftlich reizvollere Variante, aber: nein, danke - und tschüss. Wir überlassen uns nämlich weiter einfach dem ausgewiesenen Radweg, queren nichtsahnend die Straße - und sind völlig entsetzt.

Der einst beschauliche Wiesenhang oberhalb Heimbach hat sich momentan in eine überdimensionale Baustelle verwandelt. Nach holländischer Art zieht man hier ein komplettes Feriendorf hoch, das augenscheinlich keine Wünsche offen lassen wird. -Zig putzige Fachwerkhäuschen, in deren Mitte ein Komplex von Geschäftsgebäuden entsteht, werden aus dem unbescholtenen Boden gestampft. Eine Location, die Kegelclubs und verwandte Zusammenrottungen einlädt, sich in ihren Mauern die Birne volllaufen zu lassen - und vorher vielleicht mal kurz zum See zu trotten. Man hätte den Heimbachern solch eine Bausünde im Leben nicht zugetraut, die immerhin recht viel auf die Entwicklung ihrer Hochkultur zählen und stolz auf die Lage im Nationalpark und das im Ort befindliche Infozentrum sind. Da muss wohl jemand ein Angebot gemacht haben, das man nicht ausschlagen kann...

Montag, 3. September 2012

Nachsommer in Braunau

Ein Schiff wird kommen - irgendwo am unteren Inn


Das Städtchen Braunau liegt zwar am Inn (Fluss mit drei Buchstaben - bekannt aus zahllosen Kreuworträtseln). Darüber wäre also anläßlich einer völlig anderen Radreise zu berichten. Die Verbindung zur Eifel sehe man einfach im hier geborenen Massenmörder und zeitweisen Ehrenbürger. Eine mglw. seinerzeit statt gehabte Begeisterung für diesen Herrn kann die betreffende österreichische Ortschaft genausowenig wie unsere rheinische Mittelgebirgslandschaft heute noch nachvollziehen. Überall Unschuldige soweit Auge und Erinnerungsvermögen reichen.
Aber falls man schon mal den Inn abradelt, wird man doch deshalb keinen Bogen um Braunau machen. Zumal auf der anderen, deutschen Seite bloß Simbach liegt, ein keineswegs stärkerer Touristenmagnet.
Wir Radler des 21. Jahrhunderts, entstellt durch die Gnade der Spätgeburt (mit Zange!) haben Braunau jedenfalls ein besonders hochwertiges Literaturerlebnis zu verdanken. Und das kam so: Leicht ermattet von stundenlangem Inn-Damm-Strampeln stand der Sinn nach einem zünftigen Inntaler-Spezialitäten-'Nachtmahl' (um einen Ausdruck der wirklich großen inländischen Autoren aufzunehmen). Gesucht wurde also ein passabler Akropolis-Grill. Nun vermochten allerdings die im Braunauer Altststadtbereich eingeführten Gyros-Schnetzeleien vom äußeren Gesamteindruck (= Bauchgefühl) nicht restlos zu überzeugen, so dass wir uns endlich doch gen Simbach auf die heimische Uferseite wandten, wo sich in direkter Ufernähe ein Grieche mit Pfiff eingerichtet hat: mit großem lichtdurchflutetem Innenraum, wo allerlei Pflanzenbewuchs mitsamt echten fruchtbehangenen Weinreben über den Köpfen der Gäste entlangranken. Und wo sich bei guter Wetterlage trotzdem die rustikal-beschauliche Terrasse zum Aufenthalt und zur Einnahme des Tellergerichts und etlicher bayerischer Biere empfiehlt. Wo man schließlich gegen das allzu offensive Anschwirren der Mückenpein auch Mittel wie Autan und Zitronenkerzen anzubieten hat. Das Essen auch so einigermaßen ... Doch unsere Gedanken hielten sich noch mit Braunau auf:

Zur Besichtigung der Altstadt auf eigene Faust und ohne Reiseführer gibt es dort nahe den bemerkenswerten Bauwerken recht ausführliche Infotafeln zu studieren. Nach dem Vorhandensein eines Adolf-Geburtshauses haben wir garnicht erst gesucht, aber der Hauptkirche galt schon eher ein gewisses Augenmerk. Hier lasen wir u.a., dass der Schriftsteller A.Stifter in seinem Roman 'Der Nachsommer' just diese St.Stephan-Basilika zum bedeutendsten sakralen Bauwerk Ostbayerns erklärt habe (sinngemäß). Das wollten wir gerne genauer wissen.
Den 'Nachsommer' zu lesen, dürfte - auch für geländegängige Literaturliebhaber - mitnichten als eine der leichtesten Übungen gelten; deshalb befindet sich nämliches Buch seit Jahren auf unserer nach oben offenen Liste der begonnenen und irgendwie ins Abseits geratenenen Regalverstopfer. Doch motiviert dieser unscheinbare kleine Anstoß zu einem neuen Versuch. Und siehe da: mit der Seelenruhe des fortgeschrittenen Alters kann man es schaffen, jenes Werk von 750 entschleunigten Seiten mit Lust als belletristisches Faszinosum zu genießen.
Nicht darin auffindbar allerdings irgendein Hinweis oder Bezug zu Braunau. Kann sein, die Stadttouristiker berufen sich auf folgende Textstelle:
"Da steht in Grünau, hart an der Grenze unseres Landes, an der Stadtpfarrkirche ein Turm, welcher der schönste unseres Landes ist und der höchste wäre, wenn er vollendet wäre; aber er ist nur ungefähr bis zu zwei Dritteilen seiner Höhe fertig geworden. Dieser altdeutsche Turm wäre das erste, welches ich vollenden ließe."
Wäre, wäre, wäre aber inhaltlich nicht so ganz passend. Abgesehen von der - aus heutiger Sicht humorigen - Umbenennung von Braun- zu Grünau ergibt auch die Turmbeschreibung keinen Sinn. Laut Wikipedia ist der Turm der Stephanskirche nämlich bereits wesentlich früher zu Ende gebaut worden. Also brauchte auch nicht der gemeinnützige Sprecher in 'Der Nachsommer' seine Vollendung herbeizuwünschen. Er hätte höchstens die unpassende Barockhaube abreißen und durch einen 'altdeutschen' (= gotischen) Abschluss ersetzen müssen. Wahr scheint allerdings zu sein, dass sich Stifter in seiner vorübergehenden Funktion als Denkmalbeauftragter intensiv mit der Braunauer Stephanskirche beschäftigt hat und sie auch einer Geldsammlung zwecks diesbezüglicher Sanierungsarbeiten für Wert befunden, welche er auch - leider erfolglos - zu initiieren versuchte.
Und anderweitige Bezüge zu bestimmten realen Bauwerken in verklausulierter Form hat die Literaturwissenschaft in Stifters Roman tatsächlich ermittelt.

Unter dem Strich also ein inniger Dank an die kurzbeinigen Lügner von Braunau, die so arglos das zauberhafte Stifter'sche Prosawerk in heutiger Zeit wachhalten. Es ist nur ganz am Rande auch eine Liebesgeschichte, doch vor allem reizvoll und anregend für kunst- und baugeschichtlich Interessierte

Eifel-Tour mit viel See-Erlebnis (2)

Urftsee mit wenig Wasser, oben ragt der Turm der Nazigebäude hervor

 

- schwungvoll und gutgelaunt weiter im Nationalparkrevier


Noch durchqueren wir den Kurpark. Es lohnt wirklich, diesen lauschigen Abschnitt mitzunehmen. Die schattige Anlage ist genau der richtige Ausgleich zu dem eben zurückgelegten Kilometer entlang der geräuschvollen Einfallschneise. Endlich wieder Ruhe. Und gegenüber auf der rechten Seite steigt der steile Hang des Kermeterwalds an. Aus dieser Richtung mussten wir uns vor Jahren noch des öfteren das grausige Geballer der unweit stationierten Natotruppen anhören. Nach deren Abzug nimmt nur noch hin und wieder ein Jäger die Hand zum Abzug ... Das war's.
Am Ende des Kurgartens ein Brücklein - schade, noch zu früh für eine lauschige Rast, wir wechseln die Bachseite und erreichen den Wanderparkplatz. Weil noch von morgendlichem Tatendrang erfüllt, wählen wir die etwas ansteigende Wegvariante zum Anfang des Nationalparks und können einige ansehnliche  ältere Gebäude entdecken. So bleibt Gemünd in bester Erinnerung.
Etliche Kilometer gut ausgebauter, feingeschottertet Waldweg sind bis zum Anfang des Urftsees zu genießen. Immer schön flach bis leichtest wellig. Dafür benötigt man kein Pedelec. Das immer müder fließende Gewässer liegt etwas unterhalb und verbreitert sich zunehmend. Zur Zeit verbreitert sich allerdings lediglich der Querschnitt des Bachlaufs, der Wasserstand selbst läßt zu wünschen übrig: man hat die Sperre wohl kräftig zur Ader gelassen. Die breiten Uferflanken sind dicht mit frischem, jungen Grün bewachsen, was etwas unwirklich anmutet. Der homo faber werkelt also auch im Nationalpark munter herum...
So geht es speditiv voran - links das Bachtal, rechts der Kermeterhang - überwölbt von dichten Baumkronen. Die letzten Spuren der militärischen Vergangenheit in Gestalt verfallender Baracken sind mittlerweile auch entfernt. So fühlt man sich aufgehoben in ansprechend aufbereiteter Naturumgebung und nickt beschwingt den ersten entgegenrollenden Pedeleckern zu, danach noch einigen frühaufgetauten Wandertrupps. Schließlich erreichen wir die filigrane Hängebrücke, die seit einigen Jahren vom abgelegenen Ufer den Zugang zur sogenannten 'Burg Vogelsang' ermöglicht. Ein älteres Radlerpaar hält bereits die Rastbank am Brückenkopf besetzt und nutzt den schönen Morgen zum ausgiebigen Zeitungsstudium, souveräne Stammgäste bei entsprechender Wetterlage. Alles erscheint so friedlich. Der Weg führt jetzt direkt am Ufer des Urftsees vorbei, Wasserstand allerdings nach wie vor unergiebig. Eine bei normalem Stauniveau als romantische kleine Waldinsel herausragende Erhebung entpuppt sich nun als stinknormaler, mit dem Festland verbundener, Hügel. Die fast unbewachsenen Felsen zur Rechten sind ab hier mit wehrhaftem Drahtwerk zum Schutz des Weges vor Steinschlag überzogen. Für einen Nationalpark wiederum eine eigenartige Unterbindung natürlicher Abläufe - aber wer wollte wohl von herabstürzenden Felsbrocken geplättete Besucher verantworten?! Alles hat hier eben seine Berechtigung und fügt sich hervorragend in das Gesamtbild ein. Das gilt wohl auch für unseren Heimatstolz, die grandiose Burg, deren trutziger Turm bald vom Uferweg ins Blickfeld rückt. Wer hat sich nicht alles verdient gemacht um den Erhalt dieser Zierde des Nationalparks. Ein Touristenmagnet, ca. 2x auch vom Führer besucht. Von der ansässigen Bevölkerung triumphal begleitet des Reichskanzlers damalige Reise zum Ort der Abrichtung seiner Junker. Und heute profitieren wir Nachfahren (Nachradelnden, Nachlatschenden) von damaligen Investitionen in eine unerschlossene (und anfänglich wohl auch etwas unentschlossene) Gegend. Woher die Mittel zum Bau stammten, war vor Urzeiten so unerheblich wie heute die Euromillionen für seine gesinnungsneutrale Umnutzung. So wird die original altdeutsch erhaltene Nazikneipe ('Denkmal') nicht zur Bewirtschaftung freigegeben, damit dort niemand auf den Gedanken kommt, das zum Ambiente vielleicht passende Liedgut zu intonieren. Hingegen steht allerdings das Junkerschwimmbad mit seinem Monumentalmosaik im völkischen Stil exclusiven Vereinswasserratten zur Verfügung. Und es ist anrührend zu erfahren, dass viele Grundschüler der umgebenden Dörfer auch während der Stationierungszeit ausländischer Truppen dort ihre ersten Seepferdchenübungen exerzieren durften - wo ansonsten das ganze Gelände hermetisch abgeriegelt und praktisch für jeden Außenstehenden unzugänglich war. Heute können wir unbeschwert durchatmen und durchradeln, die Phase des Abriegelns gehört zur Vergangenheit, wir leben in Zeiten kontrollierter Berührungsmöglichkeiten.